Christian Spannagel schreibt in seinem Blogbeitrag
„Machen soziale Medien das Lernen sozialer?„:
Zitat: „Stören social media vielleicht nicht sogar das gemeinsame Lernen,als dass sie es befördern? Ich beobachte immer wieder, dass sich Studierende in ihren Lerngruppen immer wieder von Facebook- und Whatsapp-Messages ablenken lassen. Gruppenlernen wird gestört, wenn einzelne Gruppenmitglieder ihre Aufmerksamkeit zeitweise vom Lernen auf andere Inhalte lenken. In diesem Moment sind Online-Kontakte zumindest für den Moment wichtiger und attraktiver als die soziale Gruppe “Lerngruppe”. Auch beim Lernen alleine lenken social media natürlich immer wieder sehr leicht ab. Machen social media in diesem Fall also das Lernen sozialer?“
Galt die Priorität des Telefons gegenüber dem präsenten Gesprächspartner
nicht schon vor dem Zeitalter der sozialen Medien?
Allerdings tragen wir heute das Telefon überall mit uns herum
und die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung ist dramatisch gestiegen.
Damit bekommt die Unterbrechung als Lebensphänomen eine neue Qualität.
Studium ist auch Berufsvorbereitung.
Facebook ist privat und hat nichts mit Arbeit zu tun.
WhatsApp ebenso.
Das gilt nicht aus technischen Gründen,
sondern weil es sich so eingeschliffen hat.
Es finden im Unterricht ständig Unterbrechungen durch das Private statt.
Sollte man nicht diese Diskurs-Ebene thematisieren
statt der technischen Symptome „Facebook“ & Co.?
Digital Natives kennen das Digitale zunächst nur aus dem Privaten.
So sind sie sozialisiert.
Sie können sich „professionelle Arbeit“ mit Facebook gar nicht vorstellen,
auch wenn es prinzipiell möglich ist.
Das Digitale kann man aber auch anders benutzen:
Die Open Source-Software-Entwickler-Gemeinde macht es weltweit vor,
was professionelle Arbeit im Internet bedeutet:
Ausgefuchste digitale Workflows mit
GitHub, Slack, Gerrit, Google Docs, Trello, …
Das sind professionelle Werkzeuge für professionelles Arbeiten.
Auch Digital Natives müssen das erst lernen.
Vielleicht ist es für sie sogar noch schwerer als für Digital Immigrants
aufgrund ihrer privaten Sozialisierung und Vorprägung.
„Wähle Deine Gewohnheiten“ schrieben schon
Venkat Subramaniam and Andy Hunt in „Practices of an Agile Developer“,
siehe https://kaul.inf.h-brs.de/wordpress/2013/06/bildung-als-bewusstseinsgestaltung/
Die privaten Gewohnheiten taugen nicht unbedingt für den Beruf.
Der Unterricht an den Hochschulen ist herausgefordert,
Menschen in die Lage zu versetzen,
private Gewohnheiten zu reflektieren,
ggfs. davon Abstand zu nehmen und loszulassen.
Unterbrechungen und Multi-Tasking sind für fokussiertes Lernen & Arbeiten vernichtend.
Sie erzeugen die Illusion einer Aktivität und Vernetztheit
und verhindern Tiefe.
Das gilt nicht nur für Denkprozesse,
sondern auch Beziehungen.
Gleichzeitig liegen diese Vermischungen von Privatem mit Beruflichem
im Trend der Zeit:
Man spricht von Work-Life-Balance oder Work-Life-Blend.
Das bedeutet auf der einen Seite größere Freiheit und Flexibilität,
auf der anderen Seite die Entgrenzung der Lebensbereiche.
Die größere Flexibilität erlaubt auch Personen
mit familiären oder beruflichen Verpflichtungen zu studieren.
Die Entgrenzung der Lebensbereiche bedeutet,
dass man auch in seiner Freizeit arbeitet
und in seiner Arbeitszeit Privates erledigt.
Die Vermischung ist so dicht, dass eine Buchführung kaum noch möglich ist.
(Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
verbieten auch eine solche Buchführung durch den Arbeitgeber
oder durch die Hochschule. Gleichzeitig fallen ja durch die
Nutzung der Geräte und der Internet-Dienste jede Menge Daten an,
die gesammelt und mit „Big Data“-Technologie ausgewertet werden.)
Ob sich das Private auf Kosten der Arbeit ausdehnt oder umgekehrt,
ist durch den Einzelnen kaum noch festzustellen.
(Im Endeffekt wissen dies Google, Facebook und Co. sehr genau,
nicht jedoch der einzelne Mensch, seine unmittelbare Umgebung,
sein Arbeitgeber oder seine Hochschule.
Eine Wissensverschiebung in globale Zentren findet damit statt.)
Trends wie „Bring-Your-Own-Device“ (BYOD) leisten
der Entgrenzung weiteren Vorschub.
Damit sind wir bei der nächsten Herausforderung,
der sich Hochschulen stellen müssen:
Die Arbeitswelt unterliegt massiven Veränderungen.
Mit Work-Life-Balance und Work-Life-Blend umzugehen,
diese zu reflektieren
und ganz praktisch seinen eigenen Weg zu finden,
der je nach Lebenssituation sehr verschieden sein kann,
ist eine neue Lehr- und Lernaufgabe im Hochschulstudium.