Bologna-Statuskonferenz 11.Juli 2011 NRW-Akademie der Wissenschaften und Künste, Düsseldorf auf Einladung der Ministerin Svenja Schulze, MIWF NRW Twitter @MIWFNRW |
Die Konferenz begann unplanmäßig mit einer studentischen Verlautbarung bezüglich einer Zwangsexmatrikulation aus einem Magisterstudiengang zugunsten eines Bachelor-Studiengangs. Die Studierenden bekamen vor der Ministerin das Mikrophon und warben für eine Unterschriftenaktion gegen Bachelor. In dem Aufruf heißt es: „Entgegen aller Versprechungen haben die neuen Studiengänge geführt zu: erhöhten Abbrecherquoten, wissenschafts- und lernfeindlichem „Bulimie-Lernen“ statt kooperativem und erfreulichem Lernen und Forschen, … BA/MA ist, obwohl teilweise durchaus anderes verfolgt wurde, in seinen Grundsätzen Teil der neoliberalen Bildungsreformen der letzten Jahre. Die Lerninhalte werden austauschbar und echtes Erkenntnisinteresse abtrainiert. Die Lernenden sollen dazu erzogen werden, in vorauseilenden Gehorsam in den Verhältnissen zu funktionieren, anstatt sie in Frage zu stellen und weiter zu entwickeln.“
Weiter warfen die Studierenden folgende Argumente/Stichworte in die Diskussion (einmal auch mit Bezug auf einen FAZ-Artikel, was bei den Anwesenden reichlich Schmunzeln hervorrief. Auch wurde bezügl. der Argumentation, Magister sei besser als Bachelor, vor Legendenbildung gewarnt.):
- Die Bologna-Reform sei eine Konter-Reform zu der 68-er Bewegung.
- Die Bologna-Reform sei zu technokratisch.
- Die Bologna-Reform lasse zu wenig Raum für ein Miteinander auf Augenhöhe, Demokratie, kritisches Denken.
- Es gehe der Reform viel zu sehr um das Funktionieren in dieser Welt als um deren Veränderbarkeit.
- Bei der Qualitätsfrage brauchen wir den Diskurs in den Hochschulen, was denn die Qualität sei, die wir tatsächlich wollen.
- Schlachtruf der Studierendenbewegung: Vom Markt wieder zurück zum Menschen!
Damit rannten die Studierenden teilweise offene Türen ein: Z.B. meldete sich ein Prorektor zu Wort, dass Entwicklung der Urteilskraft und Klären, Erklären und Aufklären genau die richtigen Ziele seien, die auch seine Hochschule verfolge. Bologna sei keine technokratische Reform. Neben den 10% Formalkram gebe es 90% Gestaltungsspielraum, die wir Hochschulen auch nutzen könnten. Der Prorektor gab zu, dass auch Unsinn dabei sei, den man aber auf rheinische Art und Weise unterlaufen könne.
Die Frage die sich stellt: Haben sich die Studierenden die richtigen Gegner ausgesucht? Irgendwo spüren sie ein Unbehagen. Wo aber liegt die Wurzel-Ursache? In Bologna? In den Hochschulen? In den Präsidien? In der Hochschul-Politik? Im Hochschulgesetz?
Der gefühlte Bedarf an gesellschaftlichen Veränderungen ist hoch. Die Menschheit hat vielleicht noch 40 Jahre Zeit für wichtige Weichenstellungen, wenn überhaupt noch. Deswegen spürt jeder: Eigentlich müsste etwas passieren, gerade jetzt. Stattdessen verfangen wir uns auf allen gesellschaftlichen Ebenen und bei den Interaktionen dazwischen, national ebenso wie international, in diversen „Nullsummen-Stillständen“. Das ist ein sinnloser Kräfteverzehr gegeneinander. Was sich da am Horizont zeigt, ist der Bedarf nach einer gesamtgesellschaftlichen Solidarität angesichts der globalen Herausforderungen der Überbevölkerung, der Finanzkrise, der ökologischen Krise, usw.
Hochentwickelte pluralistische Gesellschaften verfangen sich in Nullsummen-Stillständen, weil die Ziele- und Werte-Netzwerke dermaßen komplex werden, dass sie niemand mehr überblickt. Weiterentwicklung kommt zum Stillstand, wenn gegenläufige Ziele zu unterschiedlichen Entwicklungsrichtungen zwingen. Die Komplexitätsfalle hoch entwickelter Gesellschaften erfordert ein neues kollektives Intelligenz-Niveau, auf dem Werte- und Zielkonflikte gesehen, gefühlt und geachtet und zu Weiterentwicklungen und kreativen Neuerfindungen genutzt werden.