Dr. Matthias Merkl berichtet in seinem Artikel mit dem Titel „Wir kennen keine Regel – Von der Rechtschreibung zur Schlechtschreibung an deutschen Schulen“ in der Zeitschrift „Forschung & Lehre 4/12“ vom Mainstream der Didaktik-Forschung und ihrer Wirkung für die nächste Generation wie folgt:
Unsere einflussreichsten Didaktiker haben festgestellt, dass forschendes Lernen essenziell ist. Daher haben sie durchgesetzt, dass diese Art des Lernens so früh wie möglich an deutschen Schulen praktiziert wird. Statt unsere Kinder in der Grundschule Regeln pauken zu lassen, z.B. Adjektive werden klein und Substantive groß geschrieben, wird geforscht: Die Schulklasse bekommt ein Blatt Papier mit 200 Worten und muss selbst herausfinden, was groß und was klein geschrieben wird.
Dr. Merkl sieht in der so praktizierten Ideologisierung des forschenden Lernens die Hauptursache des Verfalls der Sprach-Kompetenzen in Deutschland.
Welchen Fehler haben die Didaktiker, die diese Richtung vertreten, gemacht? Sie sind auf folgende Prä-Trans-Verwechslung herein gefallen:
Der Spracherwerb erfolgt in mehreren Schritten. Dabei spielt die Stufe, die mit dem Lernen der Regeln zu tun hat, eine wichtige Rolle. Die syntaktische Korrektheit überprüfen zu können gehört zum Spracherwerb eindeutig dazu. Das wird auf der Regel-Stufe gelernt, die nicht übersprungen werden darf. Sie darf allerdings auch nicht die letzte Stufe des Spracherwerbs sein. Sonst wird Sprache verabsolutiert wie bei Wittgenstein 1 „Nur sagen was sich sagen lässt. Über alles andere muss man schweigen“. Aus dieser Falle der Sprachlosigkeit und des Totschweigens führt Wittgenstein 2 mit seinen „Wittgensteinschen Sprachspielen„, das Spielen mit neuen Worten, neuen Begriffen, neuen Formulierungen, Zerlegungen und Rekombinationen. Jedes Jahr finden ein paar wenige neue Begriffe Eingang in den Duden. Im englischen Sprachraum sind es viel mehr. Die Innovationskraft eines Kulturraumes zeigt sich auch in der Sprache.
Die erforschende Denkweise der „Wittgensteinschen Sprachspiele“, mit der die Grenze des Sagbaren ständig ein Stückchen verschoben wird, ist zweifelsohne essenziell. Das Ringen um Worte, um gute Formulierungen, um gute Darstellungen gehört zur Weiterentwicklung.
Die Prä-Trans-Verwechslung besteht im Überspringen der Regel-Stufe. Man fängt mit dem „Wittgensteinschen Sprachspiel“ schon im Kindergarten an. Dadurch bekommt Sprache, Ausdruck und Darstellung etwas von Beliebigkeit. Erforschender Umgang mit Sprache ist zwar essenziell. Darin haben unsere Didaktiker Recht. Es ist jedoch die letzte Stufe des Spracherwerbs (Trans-Stufe). Wenn man deren Praktik auf die erste Stufe des Spracherwerbs verlagert (Prä-Stufe) kommt es zu den Problemen, mit denen wir uns nun als Gesellschaft konfrontiert sehen, der „Schlechtschreibung“.
Unsere Welt verändert sich andauernd. Wenn sich unsere Sprache nicht verändern würde, wäre das ein schlechtes Zeichen: Dann hätten wir keine Worte für das Neue. Es würde sich unserer Kommunikation und Wahrnehmung entziehen. Kindergarten-Worte sind dafür jedoch keine Lösung.
Sprache ist auch ein Codex von Regeln zur Kommunikationsreduktion (Niklas Luhmann). Die Grenzen zu verschieben ist sicher ein wichtiger Aspekt. Wenn man diesen jedoch verabsolutiert und bereits in den Kindergarten verlagert, haben wir etwas falsch verstanden.