Selbstbestätigungsvorliebe

In seinem Artikel „Learning from Noise“ beschreibt Kollege Martin E. Müller an einem Beispiel sehr schön die Selbstbestätigungsvorliebe (Bestätigungsfehler oder confirmation bias), die uns härter arbeiten lässt, wenn es nicht funktioniert, anstatt das Nicht-Funktionieren zu verstehen, die Wurzel-Ursache zu ergründen und zu beseitigen – oder gar die Unmöglichkeit des Unterfangens zu durchschauen: Aus Rauschen kann man kein Signal extrahieren. Das ist schlichtweg unmöglich.

Aber wann liegt es am Rauschen und wann an meiner ungenügenden Wahrnehmung oder Untersuchungsmethode? Begriffssysteme wirken wie Linsensysteme. Tauscht man sie aus, werden unterschiedliche Dinge scharf gestellt und damit wahrnehmbar. Was sich bei dem einem System als Rauschen oder Nebel darstellt, erscheint bei dem anderen System klar und deutlich umrissen als Signal oder Objekt. Niklas Luhmann weist deutlich auf die Ubiquität dieses Phänomens hin, indem er erklärt: „Was ist Gesellschaft? Gesellschaft ist ein Codex von Regeln zur Wahrnehmungsreduktion.“ Das ist keine Ideologie oder gar ein Vorwurf an die Gesellschaft, sondern eine simple systemische Tatsache: Endliche Systeme mit endlichen Ressourcen brauchen Reduktion. Gleichzeitig erzeugt dies Selbstbestätigungsvorliebe, Einseitigkeit und Blindheit.

Kaum eine andere Wissenschaft hat sich wie die Informatik mit der Unmöglichkeit beschäftigt: Nicht-Berechenbarkeit, Unentscheidbarkeit, NP-Vollständigkeit, Informationstheorie, usw.  Es gibt Grenzen. Grenzen des Denkens. Grenzen der Machbarkeit. Wissenschaft wird meistens verstanden, über Grenzen hinaus zu gehen. Informatik deutet auch auf die andere Seite der Medaille: Es gibt auch absolute Grenzen, über die weder Wissenschaft noch härtere Arbeit hinaus führen.

Die Selbstbestätigungsvorliebe kommt vielfach im Alltag vor: Wenn wir uns impulsiv aus dem Bauch heraus entschieden haben, schauen wir einseitig auf die Dinge und sehen nur noch das, was unsere Vorlieben und unsere Entscheidung bestätigt. Wir schauen nicht mehr unvoreingenommen auf die Sachlage. Das macht uns einseitig und blind. Blind für das, was unsere Entscheidung in Frage stellt. Und blind für die Wurzeln des Impulses, aus dem die Entscheidung entsprungen ist.

 

 

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