Idealistische Bildungsmodelle

In seinem Podcast „Folge 2: Liebe dich!“ warnt Gunter Dueck nach Minute 20:00 vor idealistischen Bildungsmodellen (mit idealistischem Menschenbild):

Neue Unterrichtsformate wie „Flipped classroom“ oder „Umgedrehter Unterricht“ setzen voraus, dass die Schüler oder Studierende zuhause eifrig gelesen und gearbeitet hätten, um gut vorbereitet in die Diskussion im Klassenraum einsteigen zu können. Dies entspricht nicht der Realität. Zu unterscheiden sind vielmehr die verschiedenen Menschentypen (Hauptthema in Omnisophie) mit ihren unterschiedlichen Lernstilen.

1. Der ideale Studierende ist brennend an den Fragen des Unterrichts interessiert und stürmt begeistert mit vielen eigenen Fragen in den Klassenraum.

2. Praktisch veranlagte Studierende lernen am besten durch „learning by doing“, „training on the job“, Praktika und Erfahrungen in Projekten.

3. Der Theoretiker will einen Überblick über alles haben, den roten Faden erkennen, den Zweck und Sinn dahinter verstehen und diskutieren.

4. Pflichtmenschen wollen einfach gesagt bekommen, was sie zu tun haben, um dann nach der fest vereinbarten Zeit nach Hause gehen zu können.

Es gibt verschiedene Lehr- und Lernstile, die zueinander passen sollten. Dazu müsste man verschiedene Vorlesungen mit den jeweiligen Stilen halten oder gar 4 verschiedene Hochschulen anbieten:

1. Für den idealen Studierenden muss die Hochschule viel Freiraum, viele Anregungen, viel Selbststudium, viel kreativen Freiraum anbieten. Der vielbeschworene Shift „From teaching to learning“ ist hier angebracht. Der Dozent reduziert sich auf die Rolle des Fach- und Lernberaters. Dies ist an einigen Elite-Hochschulen auch der Fall.

2. Praktisch veranlagte Studierende brauchen dagegen Projekte, in denen sie selber etwas machen können. Labore müssen zur Verfügung stehen. Programmieren könnte für diese Menschen als Weg zum Mathe-Lernen genutzt werden. Mathematik ist für diese Menschen als Handwerkskasten „begreifbar“. Gamification könnte für diese Gruppe hilfreich sein.

3. Der Theoretiker braucht Bücher, Literatur, Vorlesungen, Diskussionen sowohl mit den Mitstudierenden, als auch mit den Dozenten.

4. Pflichtmenschen brauchen ein Programm, das sie abarbeiten können, mit Aufgaben, Deadlines und Punkten, die sie gewissenhaft sammeln und auf ihrem Konto verbuchen können.

Lehre, die den Durchschnitt aller dieser verschiedenen Lerntypen adressiert, geht an jeder Zielgruppe vorbei.

Wenn die Bildungsdiskussion sich zu sehr auf Typ 1 fokussiert, werden die anderen drei Typen vernachlässigt.

Diversität gibt es auch in den Lehr- und Lernstilen, -formaten, -methoden und -theorien. Diversitätsmanagement bedeutet den bewussten, gesteuerten und evaluierten Umgang damit.

Oder gibt es gar keine unterschiedlichen Lernstile? Neueste Kognitionsforschung sagt Nein:
„Es gibt keine unterschiedlichen Lernstile!“ „Learning Styles don´t exist.“

Der Grund ist, dass der Schwerpunkt des Lernens nicht im Visuellen oder Auditiven oder Kinästhetischen oder Olfaktorischen liegt, sondern in Bedeutung. Es ist hauptsächlich abstrakte Bedeutung, die im Unterricht vermittelt werden soll, nicht Bilder im fotographischen Gedächtnis, nicht Klang der Worte in der Vorlesung, …

Das Video endet mit den Worten: „Gute Lehre ist gute Lehre. Gute Lehrer müssen ihren Lehrstil und ihre Methodik NICHT an den Lernstil der Studierenden anpassen.“ Man könnte auch hinzufügen, dass gute Bildungspolitik gute Lehrer nicht unter Druck setzen sollte, sich anzupassen. Diversität erzeugt keinen Handlungsdruck in der Didaktik.

Das FAQ zu der Kognitionsforschung im Bereich „Learning Styles“ findet man im „Daniel Willingham Science and Education Blog“.

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