Verantwortung der Wissenschaft

Das Problem der Adipositas (der Fettleibigkeit) nimmt volkswirtschaftliche Ausmaße an. Dadurch, dass es immer wieder auf den freien Willen jedes Einzelnen abgeschoben wird, verweigert die Politik die Verantwortung für die volkswirtschaftlichen, sozio-ökonomischen und systemischen Ursachen. Sogar „Der Spiegel“ nimmt sich diese Woche in der Ausgabe „10/2013“ dieses Thema vor.

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Die Industrie muss Gewinn machen, das ist ihr Job. Der freie Markt muss sich selbst regulieren, das ist sein Job. Alles Verlockende wird optimiert. Das Suchtpotenzial wird so effektiv wie möglich eingesetzt. Wissenschaft und Forschung helfen dabei, wo es geht.

„Wie viel ausgeklügelte Forschung hinter diesem alltäglichen Erlebnis [des Essens] steckt, ahnt kaum einer der Abermillionen, die der Versuchung … erliegen.“ (Zitat „Der Spiegel, 10/2013)

Wenn Wissenschaft und Forschung dazu beitragen können, Süchte mit volkswirtschaflichem Ausmaß hervor zu bringen, stellt sich die Frage, ob sie diese mit ihren eigenen Mitteln auch wieder einfangen kann? Ein Abschieben auf das individuelle Versagen des einzelnen Essers ist eine Ausrede. Zumindest Kinder können noch keine Verantwortung für ihre Adipositas übernehmen. Der Anstieg der Adipositas-Rate bei Kindern führt das Versagen des Systems vor Augen.

Was kann volkswirtschaftlich, sozio-ökonomisch und systemisch getan werden?

  • Verbot von Transfetten: Einerseits: „In New York und Philadelphia (USA) ist durch ein Gesetz die Verwendung von Transfetten für die Zubereitung von Speisen in Restaurants, Imbissstuben, Lokalen, Cafés und Konditoreien seit Mitte 2008 vollständig verboten. In Kalifornien sind Transfette seit 2010 in Restaurants verboten. Seit 2011 dürfen die Fette nicht mehr in Produkten enthalten sein, die im Einzelhandel angeboten werden.“ und andererseits: „Zu anderen gesundheitlichen Auswirkungen Triglyceriden der trans-Fettsäuren wie zu hoher Blutdruck, Insulinresistenz, Krebsrisiko und Allergien liegen nach Auffassung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit keine ausreichend aussagekräftigen Untersuchungen vor.“ und „Seit Mitte 2012 existiert in Deutschland eine gemeinsame Initiative des Verbraucherschutzministeriums und der Lebensmittelwirtschaft zur Minimierung von trans-Fettsäuren in Lebensmitteln. Hierzu gehören eine Rahmenleitlinie und sieben produktgruppenspezifische Leitlinien, in denen Wege zur weiteren Minimierung aufgezeigt werden.“ (alle Zitate Wikipedia) Eine Leitlinie ist kein Verbot. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Transfette übersteigt das Sparpotenzial in der Lebensmittelproduktion. Ganz zu schweigen vom menschlichen Leid, dass durch Adipositas verursacht wird.

Bei der Forderung, Suchtpotenziale im Ernährungssystem systematisch zu erforschen und zu verbieten, stösst man zu schnell auf die vorgefertigten Antworten „Das kann man nicht“ und „Jeder ist seines Glückes Schmied“, „Niemand muss Junkfood kaufen“, auch wenn es sich um künstliche, wissenschaftlich erforschte und industriell erzeugte Suchtpotenziale im Ernährungssystem handelt. Der wissenschaftliche Streit um die Wirksamkeit systemischer Maßnahmen führt zur Untätigkeit des Systems. So jetzt auch wieder bei dem Streit um Zigarettenwerbung. Wörtlich heißt es: „Es sollen Änderungen an einer EU-Richtlinie durchgesetzt werden. … Die Wirksamkeit von Warnhinweisen sei umstritten.“ Hier blockiert wissenschaftlicher Streit offenbar volkswirtschaftlichen Fortschritt. Sollte nicht viel mehr von jeder Seite alles getan werden, was getan werden kann? Es ist schwierig genug.

In den USA ist der Leidensdruck und die Handlungsbereitschaft offenbar schon größer: Auf dem Uni-Campus wird Fastfood verboten. Michelle Obama engagiert sich mit einem 115 Millionen Euro schweren Programm gegen Adipositas. Sie tritt z.B. in der Sesamstraße auf, zeigt dort, wie man gesund kocht. Damit wird erneut die individuelle Verantwortung adressiert, nicht die systemische. Beide Seiten haben ihre Berechtigung und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

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