Zukunft des Lernens

Die Uni Frankfurt veranstaltet gerade einen Offenen Kurs „Zukunft des Lernens“. Dazu ein Beitrag zum OpenCourse 2011 „Zukunft des Lernens“, 4.Woche:

Prof. Dr. Rolf Schulmeister (ehemals Uni Hamburg, jetzt Pädagogische Hochschule Zentralschweiz) hat am 13. März 2009 einen Vortrag über Personal Learning Environment (PLE) gehalten. Die Einleitung ist an historischen Lernumgebungen orientiert, also an der Vergangenheit, zu der Schulmeister noch eine tiefe emotionale Bindung hegt. Und dann kommt unvermittelt plötzlich eine metaphysierende Behauptung daher: Eine Idee, die sich beim Lernen in einer persönlichen Lernumgebung (mit Büchern, mit Bibliotheken, mit Mitarbeitern) bilde, sei das, was NICHT gesagt worden sei.

Das ist mal wieder so eine dieser Halbwahrheiten, die die Tatsachen eher vernebelt als klärt. Ja, es ist richtig, dass eine Idee nicht in einem Wort manifestierbar und ein Wort noch lange keine Idee ist. Und dennoch gibt es sie, die Idee und auch die Kommunikation der Idee. Und immer ist da das Ringen um Kommunizierbarkeit im Sinne von Wittgenstein II, das miteinander Teilen der Idee. Dieses Ringen um die richtigen Worte ist ebenso wichtig wie die Idee selbst. Das Internet mit Web 2.0 hat dieses Ringen auf eine nächste Stufe gehoben: Wir ringen jetzt nicht mehr nur um die richtigen Worte, sondern auch um die richtigen Kommunikationsmittel, -tools, -ebenen, -netze, -stile und -systeme.

Die Landkarte ist nicht das Gebiet. Vom selben Gebiet gibt es viele Landkarten. Per Kommunikation können nur Landkarten weiter gegeben werden, aber keine Gebiete. Alles Sagen dreht sich um das Gebiet und die Landkarten sind nur Mittel zum Zweck. Das Gebiet ist das Lernziel und nicht einer der Landkarten. Wittgenstein I: Alles was sich sagen lässt, lässt sich klar und deutlich sagen. Metaphysieren hilft niemandem.

Das Fragwürdige an der Argumentationskette von Schulmeister ist, wie er die Grenzen des Machbaren in PLEs letztendlich suggeriert: Weil das NICHT Gesagte nur in Präsenz-Veranstaltungen rüberkommt, taugen Online-Tools hierfür nicht. Und das NICHT Gesagte ist ausgerechnet das Wichtigste von Allem, die Idee. Ist das nicht eine Bankrott-Erklärung für Online-Lernen?

Weiter sagt Schulmeister: Wenn wir uns nur auf das konzentrieren, was heute möglich ist, dann machen wir einen Riesen-Fehler! Recht hat er. Im Technologischen hat sich Schulmeister offenbar eine geistige Offenheit bewahrt: Es sei völlig falsch, den Computer zu sehen als das, was er heute ist. Wir sollten vielmehr sehen, was in Zukunft damit möglich sein wird. Richtig.

Schulmeister sagt zu PLE letztendlich, dass man PLE nicht definieren könne. Später sagt er jedoch, dass nicht alle Wissensarten in PLE hinein passen. ??? Kommt darauf an, wie das gemeint ist:

(a) Zu jeder PLE gibt es eine Wissensart, die dort nicht hinein passt. Ja, mag vielleicht stimmen für geschlossene Umgebungen. Das ist aber nicht besonders aufregend. Definiert man jedoch das ganze Internet als PLE, dann ist die Aussage nicht falsifizierbar (vgl. Karl Popper) und damit unwissenschaftlich.

(b) Es gibt Wissensarten, die in kein PLE hinein passen. ??? Diese Aussage ist ebenfalls nicht falsifizierbar und damit unwissenschaftlich. Es ist falsch, solche Scheingrenzen in den Raum zu malen. Damit blockieren wir unsere Phantasie! Der Mythos des Gegebenen, das Märchen von irgendwelchen Grenzen, hält Menschen davon ab, nach neuen Ufern aufzubrechen. Wie oft müssen wir noch hören, dass die Erde eine Scheibe sei?

Damit bin ich wieder bei dem Thema „Ringen“: Lasst uns mit Web 2.0 weiter die Grenze des Kommunizierbaren verschieben, weiter um noch bessere Tools ringen, die Neues möglich machen, was noch nie möglich gewesen ist, anstatt über Grenzen zu spekulieren! Web 2.0 ist gewissermaßen Wittgenstein II auf eine Systemebene gehoben: Es geht nicht mehr nur um Sprache, sondern um das globale Kommunikationssystem.

Nächste These Schulmeister: Selbstreflexion und Kollaboration stören einander. Das sei das Ergebnis von www.icamp-project.org. Schulmeister schließt eine Spekulation daran an, dass man Selbstreflexion und Kollaboration besser trenne und Selbstreflexion doch besser einer Blended Learning-Umgebung vorbehalten sei. Präsenz-Anteile müssten sein, wenn es um Selbstreflexion ginge. Das ist Spekulation und noch viel zu undifferenziert. Welche Art von Selbstreflexion wird durch Kollaboration vereinfacht? Welche Typen von Selbstreflexion gehen präsent besser und welche online?

Differenzierung ist angesagt: Welche Art von Kollaboration geht mittels Präsenz-Unterricht besser? Welche geht mittels PLEs besser? Welche Art von Kultur braucht Präsenz? Welche Art geht online?

Geschieht Reproduktion von Kultur in der nächsten Generation grundsätzlich besser mit Präsenz-Unterricht als mit PLE? Kommt auf die Kultur an. Beispiel: Soldaten-Kultur. Präsenz-Unterricht ist hierbei selbstverständlich wirksamer als ein PLE es jemals sein könnte. Es ist absolut undenkbar, Wehrpflicht mittels PLE zu absolvieren. Das ist ein extremes Beispiel, dazu gedacht, einen Punkt deutlich zu machen: Die Kultur-Reproduktionsleistung verändert sich mit dem Gang ins Internet.

Um das zu verstehen, eignet sich sehr gut das neurowissenschaftliche Konzept der Spiegelneuronen: Die Wirksamkeit des Lehrers als Vorbild ist im Präsenzunterricht höher als via Internet (Modell-Lernen). Das Dumme ist nur, dass die Spiegelneuronen viel mehr erfassen, nicht nur den Lernstoff. Kultur-Reproduktion geschieht via Präsenz-Unterricht vielschichtiger als online. Ob ein Lehrer zum Vorbild taugt, hängt sehr stark von der Qualität und Reife des Lehrers ab.

Mit Präsenz-Schulung, -Konferenzen und -Kommunikation geht ein hoher Umwelt- und Zeitverbrauch einher. Das Volumen des Massentransports global steigt und steigt, weil keiner auf Präsenz verzichten will und keiner ehrlich eine Gesamtkosten-Rechnung macht.

Was hat mehr Qualität? Nach Hamburg zu reisen und die Rede von Rolf Schulmeister live zu erleben – oder das Video zuhause in aller Ruhe mit soviel Unterbrechungen wie notwendig durch zu arbeiten und dabei sich soviel eigene Gedanken zu machen, wie es in der Präsenz-Konferenz nicht möglich gewesen wäre? Es sind verschiedene Qualitäten. Präsenz ist besser für Spiegelneuronen und Reproduktion, Online ist besser für ungezielte Selbstentwicklung: Durch eigene Gedanken komme ich Pseudo-Argumenten und Pseudo-Wissenschaftlichkeit eher auf die Schliche, kann zwischendurch im Internet Unbekanntes recherchieren, den Hinweisen folgen und mir selbst ein Bild machen. Die Reproduktion der Denkweise des Redners und der Konferenzteilnehmer im meinem Denken nimmt dadurch jedoch ab.

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