Technik verändert den Rahmen

Auch bei intelligenten und Technik-affinen Leuten begegnet mir immer noch die Sichtweise, dass heutzutage technisch alles möglich sei und man deshalb nur Ziele bestimmen und einen Rahmen vorgeben muss, den man dann getrost Technikern („Code Monkeys“) mit dem Auftrag der Realisierung überlassen könne.

Es herrscht also immer noch die naive Sichtweise vor, Planung eines Rahmens und Umsetzung dieses Rahmens sei eine Einbahnstrasse. Planung sei eine anspruchsvolle und technische Umsetzung sei eine niedrigere, weniger anspruchsvolle Tätigkeit, weil der Techniker ja nur das tun muss, was man ihm sagt. Das schlägt sich auch in den Tarifgruppen des öffentlichen Dienstes nieder. Die Planer werden viel höher dotiert als die Macher. Das ist eine in Paragraphen gegossene Technikfeindlichkeit. Mal sehen, wie lange sich eine Gesellschaft das leisten kann.

Diese gesellschaftliche akzeptierte Sichtweise ist so weit weg von der Realität, dass man sich wundert, wie sie sich solange aufrecht erhalten kann. Es handelt sich hier um einen schwerwiegenden Realitätsverlust. Niklas Luhmann: „Gesellschaft ist ein Codex von Regeln zur Wahrnehmungsreduktion.“

Die Realität ist eine völlig andere: Technik verändert heute den Rahmen, und zwar so massiv, dass es doch augenfällig sein muss. Das Internet-Technik hat die Gesellschaft auf globaler Ebene so schnell verändert wie nichts zuvor. Hat das etwa irgend jemand geplant?

Alle Ideologien zuvor hatten dagegen ein Schneckentempo. Mobile Kommunikationstechnik verändert unsere Art zu leben derart massiv, dass man das doch nicht mehr übersehen kann.

Was im Großen gilt, gilt auch im Kleinen: Technik verändert den Rahmen, die Planung, die Verhaltensweisen, die Gehirne, die Menschen.

Der Erfolg von Wissenschaft und Technik in der Vervielfältigung der technischen Möglichkeiten hat den Realitätsverlust sogar noch verstärkt: Weil scheinbar alles möglich ist, könne man sich mehr auf das Planen fokussieren und die Technik noch mehr nach hinten schieben, herausfaktorisieren, industrialisieren, fließbandisieren und dümmeren Fließbandarbeitern überlassen. Gunter Dueck als IBM-Manager beschreibt eindrucksvoll, welche schmerzhaften Erfahrungen IBM machen musste, um diesen Irrtum zu durchschauen. Die Realität sieht nämlich anders aus: Bei der technischen Umsetzung wird schnell klar, dass die Planer ihre Arbeit nicht gemacht haben oder überfordert waren. Bei der Umsetzung werden viele Unvollständigkeiten, Inkonsistenzen, aber auch Überspezifikationen und Fehler offenbar. Die technischen Umsetzer werden zu Mädchen für alles, weil sie die Lückenhaftigkeit der Planer ausbügeln müssen. Dann ufert technische Umsetzung schnell aus zu Support, Benutzerschulung, Rechts- oder Kommunikationsberatung. Das ist vielfache Praxis, aber in keinem Projektmodell vorgesehen.

Mal sehen, wie lange eine Gesellschaft sich einen solchen Realitätsverlust leisten kann…

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