Unter http://www.youtube.com/watch?v=bC1HCzghIAE sieht man ein erstes Gespräch zwischen Gunter Dueck und Manfred Spitzer zum Thema „Digitale Potenz oder Digitale Demenz?“. Wirklich entweder – oder?
Die Antwort ist wohl: Beides!
Einerseits: Spitzer sagt: Wenn wir die Köpfe den Märkten überlassen, dann werden sie zugemüllt. Das ist eigentlich nichts Neues und gilt nicht nur für die Köpfe, sondern auch für Bäuche: Adipositas (Fettleibigkeit) wurde zum Massenproblem: Heute sind 36% der Amerikaner adipös, 2030 werden es 42% sein. Das Zumüllen der Köpfe könnte als geistige Adipositas verstanden werden.
Die systemische Analyse lautet: Märkte ziehen Gewinn aus dem, was Massen benötigen. Je mehr diese es brauchen, umso mehr Gewinn. Die ultimative Steigerung sind substanzfreie Suchtformen, wie Medienkonsum. Oder sollte man treffender „Illusionskonsum“ sagen? (Ach, wir träumen doch so gerne … Was könnte harmloser sein … Und die Massenstückkosten sind so vorteilhaft … ) Der entscheidende Punkt ist: Ein freier Markt muss solche Suchtformen entwickeln. Spiele-Entwickler müssen beispielsweise den Suchtfaktor in ihre Spiele einbauen. Sonst wird es kein Erfolg. Darin steckt eine gewisse Zwangsläufigkeit. Ebenso in der Tatsache, dass es mehr Süchtige geben wird, wenn mehr Suchtformen und Suchtpotenzial in die Welt gesetzt werden.
Im Video Minute 4:15 sagt Spitzer wörtlich: „Wenn wir die Köpfe der nächsten Generation dem Markt überlassen, dann geht´s schief. Dann wird Geld gemacht und [Spitzer deutet auf das Gehirn] vermüllt. Und das sehen wir jetzt gerade. Da gucken wir zu.“
Gunter Dueck sieht Spitzers neurowissenschaftliche Argumentation skeptisch und bringt als Metapher: „Hirnforschung beweist, dass Sex süchtig macht! Verbietet die Liebe!“ Vielleicht hätte Spitzer auf den Anspruch der Wissenschaftlichkeit und der neurowissenschaftlichen Herleitung verzichten und besser formulieren sollen: „Schaut nicht tatenlos zu. Verhindert das gesellschaftliche Unglück! Verhindert das massenhafte Ausbreiten von Adipositas, körperliche und geistige!“ (Dass das prinzipiell geht, dass die Gesellschaft nicht tatenlos zusehen muss, zumindest im körperlichen Bereich, beweist gerade Frankreich mit seiner Palmöl-Steuer. Gegen-Metapher: Palmöl enthält zu viele ungesättigte Fettsäuren, ist aber das billigste Fett, wird daher überall massenhaft verarbeitet und macht in dieser Menge Menschen krank. Also erhöht Frankreich die Steuer auf Palmöl massiv. Ist es wirklich eine Alternative, alles den Märkten zu überlassen und zu warten, dass Krankheitskosten ansteigen?)
Andererseits Digitale Potenz: Mit dem Internet können wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit global interagieren, so direkt, schnell, intensiv an unserem globalen Menschheitsdasein teilhaben wie noch nie. Alles Wissen aller Kulturen aller überlieferten Zeitalter scheint nur noch einen mühelosen Klick weit entfernt. Was haben wir früher einen Aufwand betrieben, um an Wissen zu kommen! Dieser Aufwand wurde scheinbar weg abstrahiert. (Das ist jedenfalls das „Look ´n Feel“ der „User“.) Digital Empowerment für JedeFrau und JederMann immer und überall! Anytime! Anywhere! Anyhow! Zauberei gibt es nicht nur bei Harry Potter, sondern mit jedem Smartphone und Tablet. Wissen liegt in der Cloud und wartet nur geflissentlich darauf, den Befehl zu einem Download zu erhalten.
Ist jetzt das Internet schuldig oder nicht? Diese Frage will Spitzer einem eindeutigen „Ja!“ zutreiben. („Ich bin Arzt. Meine Patienten fragen mich: ‚Bin ich krank, Herr Doktor, oder nicht?‘ Da muss ich mit Ja oder Nein antworten.“)
Dabei hat er selber im Video doch bereits die Wahrheit an anderer Stelle gefunden: Es ist nicht das Internet, sondern es sind „die Märkte“, es ist die psychische und gesellschaftliche Mechanik, die sich aus dem Massengebrauch neuer Illusionskonsum-Technologien ergeben hat.
Es gibt nicht nur „Ja“ oder „Nein“, nicht nur „Digital Ermächtigte“ oder „Digital Demente“, sondern beides. Der Trend zur Spaltung der Gesellschaft in „Winner“ und „Looser“, in „Digital Ermächtigte“ und „Digital Demente“ wird durch den Wirbel des Technologie-Hurricans verstärkt.
Gunter Dueck schließt seinen Blogeintrag „Digitale Potenz – ein Überspitzer gegen den Über-Spitzer (Daily Dueck 174, September 2012)“ mit den Worten: „Was hilft das Klagen einer nun technologiemöglichen neuen Form des Verkommenkönnens? Müssen wir uns nicht doch immer wieder nur auf den Menschen an sich besinnen? Wie verhindere ich „Demenz“ und wie fördere ich „Potenz“? Diese Aufgabe stellt sich immer neu, wenn sich unser Leben verändert, ja. Aber das Neue abzulehnen, weil nun jede analoge Demenz (an die wir uns gewöhnt haben) durch eine digitale ersetzbar ist?“