Problemlose Lösung

Zuerst ist da ein Problem,
zu dem dann eine Lösung erarbeitet wird.
So ist die Vorstellung von der allseits gepriesenen Problemlösekompetenz.
Besonders in der Informatik:
Algorithmisches Denken wird im Studium vermittelt.
Man soll als guter Informatiker lernen,
die Probleme des Kunden zu verstehen und dazu Lösungen zu entwickeln.
So ist das traditionelle Weltbild der „alten Informatik“,
in dem die Informatik eine Hilfswissenschaft für andere ist
und der Informatiker der Diener und Problemlöser.
Das hat etwas Schweres, Belastetes und Belastendes.
Denn wenn etwas nicht klappt oder schief geht, ist der Informatiker schuld.
Die GI-Tagung 2013 war noch voll im Weltbild der alten Informatik gefangen.

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Ihr Motto war „Informatik angepasst an Mensch, Organisation und Umwelt“.
Es ist immer die Informatik, die sich anpassen (will? und) soll.
Welcher Menschentyp sammelt sich in einem Beruf,
bei dem es um Anpassung geht?
Komisch, wenn man sich die Studienanfänger der Informatik anschaut,
so erwecken diese keinen besonders angepassten Eindruck.
Vielleicht ist das Thema „Anpassung“ nur ein Thema der alten Generation?

Zurück zur Problemlösung, die angeblich im Fokus steht:
Welches Problem lösen eigentlich Facebook, Twitter und Co.?

Wenn man sich auf diese Frage einlässt und sie genauer anschaut,
gelangt man unweigerlich zu dem Schluss,
dass dem Weltbild der alten Informatik etwas fehlt:
Das Gestalterische, das Kreative, das Erschaffen ohne Grund und Problem,
die problemlose Lösung.

Dieser Aspekt hat eine Leichtigkeit, die die alte Informatik nicht kennt.
Das ist die neue Informatik, die aus sich heraus tätig wird,
ohne von außen einen Auftrag zu bekommen,
in der der Informatiker auch kein Diener mehr ist,
sich nicht immer nur anpasst an das was andere Menschen wollen,
Organisation oder Gesellschaft für richtig halten,
sondern Trendsetter, Ermöglicher, Wegbereiter,
vielleicht auch Visionär oder bloß Phantast.

In dieser neuen Informatik wird Informatik zu einer eigenständigen Wissenschaft und Kunst,
ja sogar zu einer neuen Leitwissenschaft, die anderen Wissenschaften den Weg ebnet oder weist und Neues in die Welt setzt, das Welt und Gesellschaft grundlegend wandelt, ohne dazu einen Auftrag erhalten zu haben.
So geschehen mit Facebook, Twitter und Co.
und in vielen Software-Projekten, in denen Programmierer gestalten,
weil der Kunde gar nicht sagen kann, was er eigentlich haben will,
aus Kompetenz- oder aus Zeitgründen. Der Kunde kann nicht immer
neben der Programmierer sitzen und bei jeder Entscheidung mit abstimmen.
Software-Engineering als Ingenieurkunst, sich treu und sklavenhaft an die Aufträge des Kunden zu halten, ist eine Illusion. Die Praxis ist eine andere.
Nur spricht diese Realität niemand aus.
(Selbstverständlich ist Requirements Engineering wichtig.
Wenn man ein Produkt abliefert, das der Kunde ganz und gar nicht haben will,
wird man kein Geld verdienen können. Sich jedoch NUR auf diese Aspekt zu fokussieren, ist zu wenig.)

Auch in anderen Studiengängen ist die Problemorientierung vorherrschend.
Problemlösekompetenz wird als die Königskompetenz an die Spitze der Kompetenzhierarchie gesetzt.
Problem Based Learning (PBL) ist eine gefeierte Lernmethode,
die Kompetenzorientierung voran bringen soll.
Sie hat viel Gutes in der didaktischen Szene bewirkt.
Und gleichzeitig hat sie dem alten Weltbild Vorschub geleistet
und dazu beigetragen, der gestalterischen Lebenskraft der jungen Generation die Plattform zu entziehen. Man kann sich auch in der Vielzahl der Probleme und dem unendlichen Versuch, so viel wie möglich davon zu lösen, verzetteln und sich selber verlieren.

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