Der Preis des funktionalen Reduktionismus

Wissenschaft hat den Anspruch,
ausschließlich objektiv zu sein.
Um jedoch ein gutes Leben leben zu können,
braucht man beide Seiten:
sowohl die objektive als auch die subjektive.

Die objektive Seite des Schulbesuches
ist die Erlernung der Basis-Kulturtechniken,
am Anfang Rechnen, Lesen und Schreiben.
Subjektiv entsteht der Eindruck,
dass das Ziel sei, ein möglichst fehlerlos
funktionierender Rechen-, Lese- und Schreibautomat zu werden.
Durch Schulnoten wird dieses Lernziel konditioniert.

Wenn parallel zum gesprochenen Wort
immer auch das geschriebene Wort
wie ein Laufband durch den eigenen Kopf zieht,
dann ist dies zunächst einmal eine große Hilfe,
um Rechtschreibung zu trainieren
und objektiv bessere Noten zu bekommen.

Kann man dieses Laufband jedoch nicht mehr abstellen,
handelt es sich um eine Zwangsneurose.
Objektiv ist alles perfekt erlernt und das Lernziel erreicht,
subjektiv ist etwas schief gegangen.
Um die subjektive Pathologie kümmert sich jedoch niemand,
solange das objektive Lernziel erreicht wird.

In der Phase der Industrialisierung gab es noch keine Computer.
Die Gesellschaft hatte jedoch einen hohen Bedarf an
zuverlässigen Automaten.
Schule hat diesen gesellschaftlichen Bedarf gedeckt.
Die subjektiven Pathologien waren der Preis, den man dafür gezahlt hat.
In der Phase der Industrialisierung war funktionaler Reduktionismus
noch eine gesellschaftliche Notwendigkeit.

Heute haben wir Computer,
die das Automatisierbare viel besser beherrschen als Menschen.
Kultur und Gesellschaft sind jedoch
in den alten Schul-Traditionen stecken geblieben.
Die Lernziele und Prüfungsmethoden sind heute weiterhin
auf die Perfektion des objektiv Automatisierbaren ausgerichtet.

Unsere Gesellschaft ist in ihrer Entwicklung an einem Punkt,
der sicherlich noch Weiterentwicklung und Reifung zulässt:
Die Hilfestellungen für junge Menschen sind noch zu unausgereift.
Bei zu vielen Fragestellungen ist der Mensch auf sich allein gestellt
und findet weder in der Kultur, noch in der Technik,
        noch in der Gesellschaft genügend Unterstützung.
Häufig im Gegenteil:
Es gibt zu viele irreführende Fingerzeige,
Kulturen, Gebräuche.
Jeder einzelne Mensch muss sich durch eine immer dickere Schicht
von Irreführungen hindurch arbeiten und „klarlernen“.

Nach der Industrialisierung kam die Wissens- und Kreativgesellschaft.
Heute ist das Wissen um die subjektiven Belange jedes einzelnen Menschen
zu einem Wirtschaftsfaktor geworden.
Unsere Gesellschaft kann sich
den funktionalen Reduktionismus
sowohl menschlich als auch wirtschaftlich
einfach nicht mehr leisten.

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