Nach der Selbstmodell-Theorie Metzingers hat jede Person ihren eigenen Egotunnel mit der eigenen Komfortzone, Selbstgefühl und Identitätsgefühl. Das Verlassen dieser Komfortzone kann als schmerzhaft empfunden werden. Es kann zu einer Abwehr kommen. Die Abwehrhaltung verhindert Lernen und Weiterentwicklung. Da fehlt Offenheit.
Lebenslanges Lernen hat entscheidend mit dieser Offenheit zu tun. Geht das: Kann ich eine alte Komfortzone verlassen und eine neue betreten, ohne dass eine Katastrophe mich dazu zwingt, sondern aus Einsicht? Das ist heute ein wichtige Frage, individuell ebenso wie kollektiv („Kann ich mich auch in einem dematerialisierten Wohlstand wohl fühlen?“, siehe Radermacher).
In Folge 4 des Podcast „Die Welt fragt, Gunter Dueck antwortet“ von Robert Kindermann und Gunter Dueck diskutieren die beiden Sprecher darüber, woran man gute Leute erkennt, die man als Jungunternehmer einstellen oder als Gutachter für die Stiftung des deutschen Volkes fördern würde, sagt Dueck: „An der Wachheit kann man es sehen. Wenn man den Leuten in die Augen schaut, sieht man, ob sie wach sind.“ Darauf erwidert Kindermann: „Ja, stimmt. An der Leidenschaft in den Augen.“
Das ist nicht dasselbe. Wachheit ist nicht Leidenschaft. Gerade die sehr tunneligen Leute verteidigen ihren Egotunnel sehr leidenschaftlich. Dabei mögen sie wach und ausgeschlafen sein. Aber sie tragen eine Art Scheuklappen. Und diese kann man an ihrem Blick sehr gut erkennen. Da fehlt Offenheit. Das sind später die Kolleginnen und Kollegen, die einen Standpunkt einnehmen und ewig dabei bleiben, die eher zum Kampf der Standpunkte, zum Krieg der Egos gegeneinander als zur Weiterentwicklung neigen.
Oder es kommt zu der friedlicheren Variante des Egospiels: Das Egospiel ist das Spiel des einen Egotunnels mit dem anderen Egotunnel. Die verschiedenen Komfortzonen bleiben erhalten, ergänzen sich gegenseitig, bestätigen sich manchmal sogar. Die Tunneligkeit bleibt dieselbe.
Was nicht erwähnt wurde, ist das Merkmal der Offenheit. Das ist noch mal etwas anderes als Wachheit und Leidenschaft. Gunter Dueck bringt es später in dem Podcast auf den Punkt: Wie verhalten sich Leute, wenn sie kritisiert werden, z.B. vor den Gutachtern oder bei den jährlichen Gehaltsverhandlungen: (a) Sie verteidigen sich, ihr Verhalten, ihre Entscheidungen, ihre Selbst- und Weltsicht. (b) Sie lernen: „Ja, stimmt. In Punkt X könnte ich Y besser machen.“ Sie sind offen und nehmen die Kritik als willkommenen Anlass, um sich weiter zu entwickeln. Dazu gehört auch der Blick auf die Schwächen, Schattenseiten und Fehlentscheidungen.
Neben dem Egospiel gibt es auch das Lösungsspiel: Da sind zwei Personen, Du und Ich, und ein Drittes, die Sachlage, die Wahrheit oder sonst irgendeine Form des Absoluten. Das ist wie eine Gleichung mit 2 Variablen und einer Konstanten. In dem Zusammenspiel liegen Offenheit, das Austarieren der verschiedenen Selbst- und Weltsichten und damit das Potenzial zur Weiterentwicklung beider Parteien, zum lebenslangen Lernen auf beiden Seiten. Das ist kein Kampf der Standpunkte, sondern ein offener Diskurs. Diskursfähigkeit ist seine Voraussetzung. Diskursbefähigung ist heute das wichtigste Bildungsziel.