Intrinsisch ist nicht immateriell

In ihrem Artikel „Zur Professionalität von Hochschulleitungen im Hochschulmanagement: Eindrücke und Erklärungsversuche aus einer Interviewserie des MogLI-Projekts“ in der Zeitschrift „Das Hochschulwesen“ (HSW), 59. Jahrgang, Heft 4, 2011, berichten die Autoren Becker, Tassen, Wild und Stegmüller über einige überraschende Inkonsistenzen, die sie bei den Interviews mit Hochschulleitungen erlebt haben.

In den Interviews wurde den Autoren klar, dass Hochschulmanager i.d.R. den Unterschied zwischen „immateriell motiviert“ und „intrinsisch motiviert“ gar nicht kennen, beide Begriffe in einen Topf werfen und dementsprechend zu Fehlsteuerungen bei der Motivation ihrer Mitarbeiter neigen.

Daher hier ein paar Sätze zur Klärung:

Immaterielle Motivationsanreize sind z.B. lobende Presseartikel über Dozentinnen und Dozenten, Lehrpreis, Ehrungen, etc.

In Wikipedia kann man lesen „Intrinsische Handlungen, auch autotelisch genannt, sind eigenbestimmt und brauchen deshalb keine Anstöße von außen.“. Offenbar muss man hinzu fügen, um diesen Punkt deutlich zu machen: „… keinerlei Anstöße von außen, auch nicht immaterielle.“

Hochschule war mal der Ort prädestiniert in der Gesellschaft für intrinsische Motivation und autotelisches Handeln. Man wurde Professor/Professorin aus Interesse, aus Freude, aus Begeisterung, aus Leidenschaft. Auch heute gilt: Die begeisterte Professorin, die die Begeisterung für ihr Forschungsgebiet vermitteln kann, ist die beste Professorin. Eine solche Professorin muss nicht wie eine Mitarbeiterin in einem Unternehmen motiviert werden. Sie hat die Motivation schon.

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Bologna-Stress

Soeben flattert mir die Broschüre „Rückenwind: Was Studis gegen Stress tun können“ des Karlsruhers Institut für Technologie (KIT) auf den Schreibtisch (zum Download hier): In der Zeit „nach Bologna“ hat sich der Stress für Studierende deutlich erhöht. Sowohl die Studienabbruchquoten als auch das Volumen der an Studierende verordnete Antidepressiva sind signifikant gestiegen. Daher wird die Broschüre „Rückenwind“ empfohlen, die zeigt, wie mit den Anforderungen des Studiums gesund und produktiv umgegangen werden kann.

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Zusätzlich empfehle ich ein genaueres Eingehen auf die Frage „Mache ich wirklich das, was ich wirklich tun will?“. Falls die eigenen Antworten auf diese Frage zu banal sind („Jetzt würde ich lieber Schokolade essen…“) kann man es auch mit der Frage „Machen wir wirklich das, was wir wirklich tun wollen?“ versuchen, wobei „wir“ verschiedene Bedeutungen annehmen kann: meine Lerngruppe, meine Hochschule, „die Gesellschaft“ oder gar „die Menschheit“. Die Arbeitswelt verlangt nach mehr kompetenten Führungskräften, die kompetent führen können, weil ihr Wille einen gewissen Reifegrad hat. Das Bildungssystem soll möglichst viele solcher reifen Persönlichkeiten ausspucken. Dabei wird während der gesamten Bildungszeitspanne höchst selten danach gefragt, was der Auszubildende, der Schüler, der Student eigentlich will. Damit wird dieses wesentliche Bildungsziel der Freizeit überlassen.

Außerdem empfinde ich die Lektüre von Gunter Duecks Omnisophie als sehr hilfreich, z.B.

Hilfreich finde ich auch das Konzept der „Neurotisierenden Optimierung“ aus Gunter Duecks Kolumne „DUECK-BETA-INSIDE“ im Informatik-Spektrum, Volume 34, Number 2, 214-219. Der Artikel beginnt mit den Sätzen „Wer andere öfter ‚Hör auf damit‘ sagen hört, hat das Maß überschritten. Das Management unserer Zeit übertreibt es mit dem Gewinnstreben.“ Das entspricht dem Wort des Turing-Award-(Das ist der Nobelpreis für Informatiker)-Preisträger Alan Kay: „Don’t optimize what is in the center of your interest.“

Hinzufügen könnte man, das Bildungsmanagement übertreibt es mit der Outcome-Orientierung. Denn es unterdrückt, ignoriert oder vergisst schlicht, wie Prof. Dr. Rolf Schulmeister treffend diagnostiziert, den Lernprozess selbst und die Prozess-Orientierung als Antagonisten zur neurotisch übersteigerten Output- und Outcome-Orientierung. Dann merkt man vielleicht auch, dass das Stress-Phänomen unserer Zeit gar nicht so individualistisch ist, wie es oft dargestellt wird und auch eine kollektive und gesellschaftliche Analyse verdient: Stress ist kein persönliches Versagen, sondern entsteht auch durch Friktion, weil „wir“ individuell, kollektiv oder als Gesellschaft nicht das tun, was wir eigentlich tun sollten, ja müssten, weil es jetzt aktuelles Gebot der Stunde ist.

Zum Stress-Phänomen in Arbeitswelt siehe Financial Times Deutschland (FTD)-Artikel „Arbeitslust und -frust: Kollegen als Stressfaktoren“.

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Studium 2020 Konferenz in Berlin

Zu Beginn der Bologna-Reform gab es verhärtete Fronten zwischen den Bologna-Befürwortern und den Bologna-Gegnern. Auf der Konferenz „Studium 2020“, zu der drei Unis gefördert vom BMBF, dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und vom Projektträger DLR, nach Berlin in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften eingeladen hatten, wurden schon wesentlich differenziertere Argumente ausgetauscht und genauer hingeschaut: Was ist eigentlich los in der deutschen Hochschullandschaft? Nicht wie bisher: „Welche guten Absichten haben Bildungspolitiker und Hochschulen?“, sondern eher „Was sind die Wirkungen von Bologna? Was sind die Effekte? Was ist die Realität heute? Und was wird 2020 sein?“ Anstatt weitere Schleifen in ideologischen Debatten zu drehen, kommt wissenschaftliche Bestandsaufnahme („Was wissen wir wirklich?“) und Methodik mit ins Spiel. Wesentliche Merkmale der nächsten Jahre: Zunahme der Heterogenität, Diversität und Zunahme der schieren Masse an Studierenden, die an die Hochschulen strömen, für kurze Zeit und einem schroffen demographischen Abstieg. D.h. Deutschland hat jetzt für wenige Jahre die Chance, sich eine ordentliche Kräftigungsspritze für den akademischen Arbeitsmarkt zu schenken. Danach geht das mit dem eigenen Nachwuchs definitiv nicht mehr.

Mein Gesamteindruck und Fazit: Die Situation in den Jahren 2010 bis 2020 sieht nach einem grundlegenden Systemwechsel aus. Bologna war bereits ein Wechsel in Formaten und Zielsetzungen, jedoch sind einige Teile, Aspekte und Mechanismen nicht mitgezogen. Der Wandel war nur partiell, unvollständig und das hinterlässt eine Reihe von Inkonsistenzen. Es wird immer wieder die Frage gestellt, ob die alten Ansätze besser waren oder ob es die neuen sind, obwohl die Reibungsverluste an den Stellen der Inkonsistenz entstehen und es nicht um alt oder neu geht.

Das schlimmste ist ein halber Systemwechsel. Man hat das eine Ufer verlassen und das andere noch nicht erreicht. Und genau in diesem Niemandsland zwischen den beiden Welten befindet sich die Hochschullandschaft in diesen Jahren.

Gleichwohl erhebt sich die Frage, wie es weiter geht. Da gibt es Arbeitgeberforderungen, gesellschaftliche Veränderungen, die rasende technische und wissenschaftliche Weiterentwicklung, globale Erfordernisse, die alle nach Änderungen schreien in einem Maße, dass jede Hochschule alt und verstaubt aussehen lassen muss.

Dem Druck, den die verschiedenen globalen gesellschaftlichen Entwicklungen auf die deutschen Hochschulen ausüben, kann das alte System nicht mehr standhalten. Dabei wird unter „dem alten System“ das Hochschulsystem verstanden, wie es heute zum größten Teil noch gängige Praxis ist: 70% besteht aus Wissensvermittlung, d.h. Inhalts- statt Kompetenzvermittlung, 50% der Lehrveranstaltungen sind Vorlesungen. Ein Detail dazu: Der Anteil der Vorlesungen hat sich angesichts der Massen, die an die Hochschulen drängen, noch erhöht. Damit halte man sich immer noch  an das pastorale Lehrsystem des Mittelalters vor der Erfindung des Buchdrucks, als man von der Kanzel gepredigt und vorgelesen hatte, weil es noch keine Bücher gab. Das Ziel war die Weitergabe eines stabilen Glaubenssystems von einer Generation auf die nächste. Herrschaftsansprüche, Glaubenssystemstabilisierung und -weitergabe war das Ziel und der Weg, der uns dorthin geführt hat, wo wir heute stehen. 

Bologna kommt in die Jahre. Stärken und Schwächen werden deutlicher, die als erster Haupt-Redner Prof. Dr. Dieter Euler von der Uni St. Gallen ansprach:
• Erstsemester bringen einen großen Enthusiasmus mit in ihr Studium (ebenso wie Erstklässler bei der Einschulung), ein großes Interesse an Wissenschaft, das bereits im Laufe des ersten Jahres erlöscht und einer hohlen Verwaltung des eigenen Studiums und seiner Notwendigkeiten weicht.
• Das subjektive Druck-, Stress- und Angsterleben im Studium ist gestiegen, obwohl objektiv der Stoffumfang und die Leistungsanforderungen eher gesunken sind. Ein Selektionsdruck wird an allen Ecken gespürt.
• Die wahnwitzige Beschleunigung aller Prozesse ruft nach einer Entschleunigung, die an der Uni Bielefeld gar in einer Forderung nach einer „Lesewoche“ mündete, damit die Studierenden tatsächlich auch mal Zeit finden, das zu tun, wozu das Studium eigentlich mal gedacht war: zu lesen, zu studieren im ursprünglichen Sinne.
• Die Studiengänge sind nicht kohärent genug und die Akkreditierer wohl nicht imstande, Kohärenz oder ihr Fehlen wahrzunehmen und dem entgegen zu steuern.
• Der Inflationierung von Prüfungen ist Einhalt zu gebieten. (Gleichwohl wurden keine Konzepte vorgestellt, wie dies geschehen könne.)
• Hochschuldidaktik ist noch lange keine echte Personalentwicklung, die sie eigentlich sein sollte.
• R. Barnett hat 2011 das Buch „Being a University“ geschrieben und fragt „Haben die Unis ihre Seele verloren?“. Wo ist der Geist von Humboldt geblieben? Wo ist überhaupt Geist? Unsere Hochschulen sind teilweise zu geistlosen Paukanstalten geworden. Niemand hat das gewollt. Aber es ist so gekommen.

Prof. Euler rief zu einer „Reanimation des Studierens“ auf, d.h. zu einer Reaktivierung der animierenden Elemente, z.B. forschendes Studieren, reflexive und kontemplative Elemente.

Euler ist Schweizer und wurde vom Moderator gefragt, wie er als Außenstehender das „typisch Deutsche“ in der Bologna-Reform beschreiben würde. Seine Antwort war, dass die Schweizer eher pragmatisch an die Sache heran gehen würden, während die Deutschen mehr dazu neigen, vorher ein paar ideologische Extra-Schleifen zu drehen.

Prof. Dr. Rolf Arnold berichtete von der Uni Kaiserslautern, an der 7000 Präsenz- und 4000 Fern-Studierende studieren. Seine provokanten Thesen:
– Unsere Studierenden könnten mehr wissen, wenn sie weniger lernen müssten.
– Das heutige Bildungs-Setting entstammt kirchlichen Wurzeln. Ob es für die Lernerfordernisse heute wirklich förderlich ist, ist noch nicht erforscht.
– Wie hängen Lehren und Lernen zusammen? Gar nicht!
– Lehren kann eine Behinderung von Lernprozessen sein.
– Viele Probleme der Präsenz-Uni können mit den Mitteln der Fern-Uni gelöst werden, die diese schon längst entwickelt haben. Man muss nur bereit sein, aufeinander zu zu gehen.

Prof. Dr. Rolf Schulmeister berichtete über seine Forschungsergebnisse, die er aus zahlreichen Befragungen und Statistiken gewonnen hat. Hier die wichtigsten:
• Es gibt keine Korrelation zwischen dem Zeitaufwand, den die Studierenden in ihr Studium investieren, und dem Studienerfolg, wenn man diesen mal ganz platt in Noten misst. Daher stellt Schulmeister provokant die Frage: Wozu wird dann mit ECTS-Credits gemessen, welche ja nur den Zeitaufwand spiegeln?
• Der große Gewinner ist die Selbstbestimmung. Selbstbestimmte Lerner haben den besten Studienerfolg, investieren weniger Zeit in ihr Studium insgesamt in der Summe, investieren jedoch gezielt überdurchschnittlich viel Zeit in schwierige Fächer (Mathe). Dieses strategisch-pragmatische Vorgehen ist am erfolgreichsten, wenn man Erfolg ganz platt in Noten misst.
• Einige Lernverhinderer werden durch die Lehrorganisation auch noch verstärkt.
• Die Outcome-Orientierung von Bologna ist ein Fehler. Prozessorientierung würde den Lernprozessen gerechter werden.

Schulmeister gibt folgende Empfehlungen:

  • Der Selbstbestimmung ist mehr Raum zu geben. Das bewirkt zweierlei: Druck sinkt, Motivation steigt. Durch die Wegnahme des extrinsischen Systemdrucks steigt die intrinsische Motivation.
  • Die Lehrorganisation muss mehr in Richtung Blockstudium, Selbststudium, Teamarbeit gehen.
  • Unter Selbststudium versteht Schulmeister: Aufgaben stellen und Feedback geben. Die Lernenden dürfen nicht platt sich selbst überlassen werden. Die Verantwortung für den Lernfortschritt bleibt auch bei den Lehrenden und wird nicht komplett an die Lernenden abgegeben. Die ständig wiederholte Kontrolle des Lernfortschritts während des Lernprozesses, nicht erst danach, ist unbedingter Bestandteil guter Lehre. Dass ein Studierender die Lernziele nicht erreicht hat, darf nicht erst in der Klausur zu Tage treten.

Wenn man den Lernprozess als ergebnisoffenen Prozess begreift, in dem sich alle Beteiligten ohne Voreingenommenheit, ohne bias bewegen, also echtes erforschendes Lernen, in dem das Ergebnis nicht vorgegeben ist, wird man der geforderten Zukunftsoffenheit und Selbstbestimmung eher gerecht. Wenn der Outcome von vornherein festgelegt ist, handelt es sich nicht um offenes Lernen sondern geschlossenes Training, Programmierung, Konditionierung, Fixierung. Dann wird bloß geübt und eintrainiert, was das Curriculum will.

John Erpenbeck ist der Kompetenzpapst in Deutschland, bekannt geworden durch sein 800 Seiten starkes Handbuch zur Kompetenzmessung. Ja, man kann Kompetenzen auch messen und überprüfen! Erpenbeck repräsentiert allerdings nicht die Mehrheit in der Hochschullandschaft, die Kompetenzen üblicherweise gliedert in Fach-, Methoden-, Personal- und soziale Kompetenzen. Erpenbeck sieht das anders und geht einen Sonderweg. Er versteht unter Kompetenzen die Fähigkeiten, in unerwarteten (zukunfts-) offenen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln. Dies beschreibt wie kein anderes Merkmal die „perspektivische Leistung“, für die sich ja die Arbeitgeber bei der Wahl ihrer neuen Mitarbeiter am meisten interessieren. Das ist jedoch nicht der Mainstream. So kommt es, dass ausgerechnet der Kompetenzpapst zum größten Kritiker der allzu flachen Kompetenzauslegung sowohl der Pisa-Studie als auch der Bologna-Reform wird: Pisa habe nichts mit Kompetenz zu tun. Pisa gehe es allzu flach um Wissensbildung, jedoch nicht um Menschenbildung. Kompetenzorientierung ist in den vielen Modulhandbüchern der Bachelor- und Master-Studiengänge nur eine Chimäre, bloße Rhetorik. Eine Umstellung von Inhalts- auf Kompetenzorientierung wäre eine Systemumstellung, die an den meisten Hochschulen noch nicht erfolgt sei.

Erpenbeck verwies auf das Video des Göttinger Neurobiologen Gerald HütherOhne Gefühl geht gar nichts“. Lernen gehe über emotionale Kompetenz. Weder Qualifikation noch Wissensvermittlung seien Kompetenzentwicklung. Dazu gab Gabi Reinmann in der Diskussionsrunde zu erkennen, dass sie der Argumentation von Erpenbeck nicht ganz folge könne. Seine Aussage „Wissensvermittlung sei keine Kompetenzentwicklung“ sei wenig hilfreich für didaktische Neuerungen und eher ein Kategorienfehler. Diese Beobachtung vertieft sie in ihrem Blog „e-Denkarium“. In „Mut zur Lehre: Didaktische Herausforderungen für ein konstruktives Lernen im Zeitalter des Web 2.0 – oder – Das schwierige Verhältnis zwischen Lehren und Lernen: Ein hausgemachtes Problem?“ geht sie ausführlich darauf ein und fragt, warum „wir“ in unseren methodischen Theorien immer wieder in heillosen Dichotomien verfangen?

In der anschließenden Fragerunde kam es zu folgendem merkwürdigen Dialog:
Frager: Kann man die Konzepte der emotionalen Intelligenz z.B. auf das Bauingenieur-Studium anwenden?
Erpenbeck: Selbstverständlich geht das!
Frager: Wieso?
Erpenbeck: Wenn der Bauingenieur nicht über emotionale Intelligenz verfügen würde, wäre er in der Psychiatrie!

Merkwürdiges Argument. Daraus könnte man folgern, dass alle Leute, die nicht in der Psychiatrie sind, über emotionale Intelligenz verfügen!?

Emotionale Kompetenz kann man so oder so verstehen und mir scheint nicht ganz klar zu sein, worüber gerade geredet wird: (a) Man hat seine Gefühle „im Griff“, was auch immer das heißen mag … (b) Man kennt sich in der „Welt der Gefühle“ aus. (Das wäre aber eher Wissen… oder gar Weisheit …) (c) Man kann viel mit Gefühlen „machen“…

Zum Schluss verwies Erpenbeck auf seine Produkte zur begleitenden Kompetenzdiagnostik KODE® und KODE®X, siehe www.competenzia.de.

Prof. Dr. Wilkesmann von der TU Dortmund zeigte in seiner Studie über non traditional students, dass diese sich mehr Wissenschafts- als Praxisorientierung wünschen, während die Lehrenden immer das Gegenteil glauben. Da gibt es wohl ein deutliches Missverständnis. Der reflexive Umgang mit Wissen ist auch in der Weiterbildung attraktiver als der instrumentelle Umgang. Letzteren haben die Weiterbildenden in der eigenen beruflichen Praxis zur Genüge und wollen ihn nicht auch noch im weiterbildenden Studium haben. Da ist ein deutlicher Wunsch nach geistvollerem Umgang mit Wissen, sowohl auf der Seite der Studierenden als auch der zukünftigen Arbeitgeber. Das Bologna-Ziel der Employability ist daher nicht einfach mit dem Slogan „Noch mehr Praxis!“ abzudecken.

Es gibt derzeit keine Statistik der akademischen Weiterbildung in Deutschland. Daher sind wissenschaftliche Aussagen schwierig. Die Wissenschaftspolitik bewegt sich folglich auf schwankendem Boden. Um es als Paradoxon zu formulieren: Ausgerechnet die Wissenschaft wird nicht wissenschaftlich gesteuert, sondern eher ideologisch. Dagegen hat das BMBF eine Reihe von Forschungsprogrammen initiiert, siehe Bildungsforschung. Bei einer Umfrage im Auditorium stellte sich heraus, dass ca. 70 bis 80% der Teilnehmer der Konferenz Pädagogen waren.

In den parallelen Foren ging es um „Didaktische Konzepte für Studium 2020: Heterogenen Anforderungen und Kompetenzen der Studierenden gerecht werden“ und „Mediendidaktische Implikationen für Studium 2020: Flexibles, lebenslanges Lernen durch Medien ermöglichen“. Darin wurde auch am Rande in einer Nebenbemerkung auf die jüngsten Entwicklungen von „Udacity and the future of online universities“ verwiesen: Der Stanford- und Google-Professor Sebastian Thrun hatte im letzten Semester aus eigener Kraft und mit eigenem Geld seine Lehrveranstaltung „Introduction to Artificial Intelligence“ für das Internet kostenlos geöffnet. Der Erfolg war gewaltig: 160.000 Studierende nahmen weltweit an dem Online-Kurs aktiv teil. 248 Studierende haben die volle Punktzahl in den Übungen bekommen, d.h. sie haben nicht eine einzige falsche Antwort gegeben. Keine/r der 248 war ein/e Präsenz-Studierende/r in Stanford. Alle 248 waren Fernstudierende irgendwo draußen in der Welt. In dem Kurs waren mehr Studierende aus Litauen als Stanford insgesamt Studierende hat. Es gab Studierende aus Afghanistan, alleinerziehende Mütter, usw., die trotz widrigster Umstände teilnahmen. Der Aufwand für Thrun, aus einer kleinen Präsenz-Veranstaltung weltweite Online-Lehre zu machen, war groß, aber machbar. Der Erfolg, mit seiner Online-Vorlesung die Welt wirksamer zu verändern, als das in Stanford alleine jemals möglich war, hat Thrun bewogen, Stanford zu verlassen, die Startup-Firma Udacity zu gründen und jetzt in die Online-Lehre richtig einzusteigen.

Merkwürdig war, wie in Berlin auf diese Ereignisse verwiesen wurde, nämlich als „Verrücktheit“, die man am Rande auch mal zur Kenntnis nehmen solle. Dazu ein deutliches Ja und Nein: Nein, das ist nicht „verrückt“ im Sinne von „wahnhaft“, sondern: Ja, hier wird etwas verrückt, zurecht gerückt, umgeformt, umgestaltet: Hier wird Zukunft gestaltet!

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Verblödungstoleranz

In der Zeitschrift „Forschung & Lehre“, siehe auch www.forschung-und-lehre.de, Untertitel „Was die Wissenschaft bewegt“, schreibt Prof. Holger Noltze im Editorial, dass Hochschulen in einer komplexen Welt lehren sollten, mit Komplexität umzugehen, aber dummerweise das Gegenteil bewirken, nämlich Verblödungstoleranz: Die Toleranz gegenüber jeder Niveau-Absenkung steigt. Die Toleranz gegenüber dem, was man nicht leicht versteht, weil es komplex ist, sinkt. Das liege teilweise auch an der stetig wachsenden Undurchschaubarkeit der Systeme. (Leider hört der Artikel mit der Analyse an dieser Stelle auf.)

Die Undurchschaubarkeit der Systeme erzeugt ein Gefühl von Ohnmacht, und das in einer sogenannten Wissensgesellschaft, die der Devise folgt, Wissen sei Macht. Die Ohnmachtsgesellschaft bringt eine neue Spezies Mensch hervor, den Wutbürger. Offenbar wurde die Schattenseite der Wissensgesellschaft ignoriert: Es wird auch eine gehörige Portion von Ohnmachtsgefühlen erzeugt. Auch dafür ist die Wissenschaft mit verantwortlich. Dagegen kann sie allerdings etwas tun.

Bloggen zum Beispiel. Warum sind so wenige Wissenschaftler in Blogs unterwegs? Weil sie um ihre persönliche Sicherheit besorgt sind: Da werden die Gefahren der Datenkraken mit Orwellschen Szenarien beschworen. Deswegen hält man sich lieber bedeckt. Aus persönlichen Interessen werden die Chancen des Web 2.0 von der Wissenschaft nicht in dem Maße wahrgenommen, wie es sein könnte.

Ja, Wissenschaftler dieser Welt, dann mal ran!!! Worauf warten wir? Lasst uns die Systeme durchschauen und unseren Durchblick mit der Öffentlichkeit teilen. Wozu sonst gäbe es Web 2.0, wenn nicht hierfür? Systeme durchschauen statt Geheimwissenschaft zu betreiben, ohne Vernebelungsstrategien insgeheim zu verfolgen, ohne Verschwörungstheorien zu pflegen, ohne Besserwisserei, ohne Interessen-Poker, ohne Hidden Agenda, sondern allein der Wahrheit verpflichtet. Systeme durchschauen, die wir Menschen selbst geschaffen haben und an denen wir auch jetzt noch weiter herumbasteln. Systeme, als deren Opfer wir uns fühlen, obwohl wir sie selbst erschaffen haben.

Systeme „der Zukunft“ (dabei gibt es nicht „die“ Zukunft) werden als „alternativlos“ beschworen. Dabei malen wir sie uns wie Orwell als Gefängnisse aus, anstatt zu erkennen, dass sie ihren Ursprung hier und jetzt in unseren eigenen Köpfen, in unseren eigenen Vorstellungen haben. Wie können wir auf eine bessere Zukunft hoffen, wenn wir hier und jetzt nicht aufräumen?

Das ist das Paradoxe unserer Zeit: Einerseits verändern Wissenschaft und Technologie das menschliche Sosein immer stärker und immer schneller. Andererseits gibt es gesellschaftliche Veränderungsprozesse, auf die Wissenschaft scheinbar keinerlei Einfluss hat, wie die zitierte Verblödungstoleranz. Man kann eine Schere beobachten, die immer weiter auseinander geht: Wissenschaft und Realität, Wissen und Leben. Hat sich Wissenschaft in die gesellschaftliche Irrelevanz manövriert?

Wissenschaft selbst erlebt (auch aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Marketing) Ideologisierung und „Religionisierung“: Im amerikanischen Sprachraum spricht man ungeniert von Evangelisten, die eine bestimmte Richtung vertreten und „marktfähig“ machen. Gleichzeitig wird die eigentliche Praxis als unakademisch immer mehr ausgeklammert. Woher kommt diese Praxis- und Realitätsflucht?

Wissenschaft fördert Spezialistentum: In irgendeiner Ecke des riesigen wissenschaftlichen Raums wird ein winziges Puzzlestück hinzugefügt. Dieses Puzzlestück hat mit dem Leben des Wissenschaftlers selbst und der Gesellschaft, in der er lebt, herzlich wenig zu tun. Verfremdung ist ein Markenzeichen wissenschaftlicher Betrachtung.

Dabei ist die wissenschaftliche Herangehensweise sehr frisch, sehr lebendig, problemlösend und hilfreich, wenn da nicht die Praxis- und Realitätsflucht wäre. Die Schere wieder zu schließen, das ist die Aufgabe der heutigen Zeit.

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Das Like-Problem und 2 Click Social Media Buttons

Die Social Media Buttons (Facebook, Twitter, Google+, …) sind trügerisch insofern, als dass man den Eindruck gewinnt, dass erst nach Drücken eines der Buttons eine Datenübertragung vor sich ginge. Dieser Eindruck trügt. Facebook und Co. sammeln bereits vorher Daten, allein schon durch das Laden der Seite. Das widerspricht dem Ideal der informationellen Selbstbestimmung.

Eine Lösung hat Heise unter 2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz und Das Like-Problem beschrieben: Man füge 2 Click Social Media Buttons ein. Zunächst sieht man nur die passiven, grau eingefärbten Bilder mit einem Schiebeschalter daneben. Diese Bilder sind tatsächlich nur Bilder und völlig unschuldig. Erst durch Click auf eines der Bilder wird der entsprechende farbige und aktive Button geladen und es findet eine erste Übertragung an Facebook und Co. statt. Wenn man dann noch ein zweites Mal den farbigen Button drückt, wird die gewünschte Funktion ausgeführt.

Diese Lösung kann man ab sofort in diesem Blog ausprobieren. Die Datenschutz-Seite ist ganz schön kompliziert und wird im Blog „medien-gerecht“ besprochen.

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Human Project App

Der Wissenschaftsbetrieb tendiert zur Spezialisierung, Divergenz, Verästelung in unzählige Spezialgebiete. In der Informatik konnte man sich noch vor 40 Jahren auf die Lektüre einer einzigen Zeitschrift beschränken, um voll über das Geschehen in der gesamten Informatik-Wissenschaft informiert zu sein. Die Zeiten sind endgültig vorbei. Heute kann keiner mehr von sich behaupten, die ganze Informatik zu überblicken, geschweige denn den gesamten Wissenschaftsbetrieb.

Wer oder was hält jedoch das Ganze zusammen? Früher hatte die Philosophie noch diesen Anspruch. Heute ist sie nur ein weiteres Spezialgebiet. Wer kümmert sich um die große Klammer? Wer stellt die großen Fragen? Z.B. Was sind die großen Menschheits-Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?

Viele Experten geben viele divergierende Antworten. Allerdings scheint es keine gemeinsame Landkarte aller wichtigen Menschheits-Herausforderungen zu geben. Diese wäre wichtig, um etwaige Abhängigkeiten (Interdependenzen) aufdecken und angehen zu können.

Erika Ilses und Anna Stillwell wollen eine solche Landkarte erstellen und lassen zu diesem Zweck ein iPad-App programmieren, das „Human Project App“, das helfen soll, die verschiedenen Sichtweisen zusammen zu führen. Dazu haben sie zu ihrer Idee ein Video auf Youtube erstellt, http://www.youtube.com/watch?v=eR4Zr3DL_Q0

und sich auf der Kickstarter-Plattform für Crowdfunding www.kickstarter.com registriert. Damit haben sie innerhalb von 5 Tagen mehr als 25.000 US-$ eingeworben.

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Von dummen Maschinen zu dummen Gehirnen

Das Buch „Gödel, Escher, Bach – ein Endlos Geflochtenes Band“ wurde 1979 von Douglas R. Hofstadter geschrieben und gibt die damalige Stimmung wieder: Man glaubte noch voll an die Möglichkeit einer künstlichen Intelligenz (KI). Intelligenz sei auch mechanischen Denkapparaten möglich. Der Weg dorthin gehe über „seltsame Schleifen“, Selbstbezüglichkeiten, wie sie von Bach in der Musik, Escher in Bildern und von Gödel in der Mathematik erkannt und dargestellt wurden. Es gebe also einen Münchhausen-Trick, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen und aus Materie echte Intelligenz erschaffen zu können. Wichtig war Hofstadter die Plausibilität, dass menschliche Denkvorgänge auf Maschinen abbildbar sind.

Heute, 32 Jahre später, ist Ernüchterung der Euphorie gewichen. KI ist ein normales Fach der Informatik geworden, in dem auch bloß Algorithmen gelehrt werden. KI-Algorithmen sind zwar ein wenig anders, aber eben doch nur Algorithmen.

Die andere Seite, das menschliche Gehirn, wird seitdem auch immer intensiver untersucht, und zwar in den Neurowissenschaften. Das Gehirn ist im Prinzip ein neuronales Netz. Sein Unterschied zu Computer-Gehirnen ist die Fehlerhaftigkeit und Unzuverlässigkeit, so dass Ergebnisse nicht zuverlässig reproduzierbar sind. Die Leistungsfähigkeit bei der Ein- und Ausgabe, in der Kombinatorik und beim Massen-Kopieren ist im Vergleich zu Computern um Größenordnungen schlechter. Auf diese Unterschiede ist Hofstadter in seinem Buch nicht eingegangen. Das Gehirn entpuppt sich als schlechter Computer. Es ist nicht nur langsamer und unzuverlässiger, sondern auch gestörter, da es Störsender und Input-Signale wie Audio, Video, Gefühle oder Störgedanken während der Denkvorgänge nicht zuverlässig abschalten kann.

Ebenso ist der Computer dem Menschen auf dem Gebiet der zuverlässigen Massenspeicherung haushoch überlegen. Daher ist es kein Wunder, dass mittlerweile Computer Weltmeister wurden in verschiedenen Disziplinen wie Schach oder Quiz (Jeopardy – Amerikas liebste Quiz Show), selbst wenn man ihre Kommunikation unterbindet: In Jeopardy wurde das Internet abgeschaltet.

Andererseits ist der Computer für bestimmte Fragestellung völlig unbrauchbar, z.B. „Was ist wichtig?“, „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Was ist die Realität?“, „Was ist der momentane Kontext?“, „Was ist der kritische Punkt?“ oder „Was ist die jetzige Problemstellung?“. Douglas Adams bringt es in seinem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ satirisch auf den Punkt, indem er einen Computer jahrhundertelang über die Frage „Was ist der Sinn des Lebens?“ rechnen lässt und zum Schluss die Antwort „42“ ausgeben lässt. Was sonst hätte ein Computer dazu sagen können?

Unsere Bildungsideale stammen heute noch aus der Zeit vor den Computern. Daher wurden von der Gesellschaft viele Menschen als zuverlässige Rechner, Denker und Kommunikatoren benötigt, quasi als Computer- und Internet-Ersatz. In unserer Zeit ändert sich der Bedarf massiv. Die Bildungsideale haben sich jedoch nicht merklich geändert. Daraus ergibt sich eine massive Fehlproduktion am Bedarf vorbei.

Hofstadter beschreibt in „Gödel, Escher, Bach“ die Church-Turing-These in der Hardy-Version (S. 603, deutsche Ausgabe) wie folgt: „Im Grunde sind alle Mathematiker-Gehirne isomorph.“ Die Bildungsindustrie sorgt für die Reproduktion isomorpher Gehirne, wie Hofstadter es nennt, d.h. die Gehirne der Schüler werden durch Unterricht strukturiert und in der Grundstruktur denen der Lehrer äquivalent angepasst, zumindest was das Fachliche anbelangt. Isomorphe Strukturen werden am effizientesten durch axiomatisierte Systeme transferiert, d.h. man überträgt die Axiome und der Rest ergibt sich durch logische Schlussfolgerung. Gute Noten gibt es für fehlerfreie Reproduktion. Die Isomorphie wird also unter existenzieller Bedrohung erzwungen. Der Schüler hat nicht wirklich freie Wahl.

Früher war Isomorphie der Garant für das Weiterbestehen einer Fachdisziplin in der nächsten Generation. Heute wird es immer wichtiger, auch die Schattenseite dieses Reproduktionsvorgangs zu sehen: Isomorphie kann auch schädlich sein, kann auch der Gesellschaft schaden, nämlich dann, wenn ein „Weiter so …“ als Entwicklungsoption nicht mehr in Frage kommt, wenn Innovation und Neustrukturierung wichtiger werden als Reproduktion alter Strukturen.

Logische Schlussfolgerungen über Tausende von Seiten hinweg zu überprüfen ist für Computer kein Problem, für Menschen schon. Das Absolute in der Form als perfekter Denker ist durch Computer besser vertreten als durch menschliche Gehirne. Das Gehirn ist ein schlechter mechanischer Denker, voller Fehler, Unzuverlässigkeiten und Begrenztheiten. Kurz: Das Gehirn ist ein schlechter Computer. Angesichts der Perfektion mechanischer Denkvorgänge in Computern müssen Menschen neidlos anerkennen, dass Gehirne fehlerhaft, unzuverlässig, vielfach begrenzt und durch andauernde Signalverarbeitung vielfach gestört sind.

Fehlerfreie mechanische Denkvorgänge sind eine Form von Bewusstsein, allerdings keine besonders menschliche, keine besonders gehirngerechte, sondern eher maschinengerechte. Wahre Intelligenz sieht anders aus. In Zukunft wird es wichtiger, mechanische Denkvorgänge an Maschinen delegieren zu können und seinen Kopf frei zu halten für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens und des Berufs. Höhere Formen von Bewusstsein, der Sinn für Wichtiges und Schönes, Innovation, Intuition, Kreativität und Freiheit gehen über die Kombinatorik mechanischer Denkvorgänge hinaus. Aber kann man diese auch getrost den Maschinen überlassen?

Dazu zwei Geschichten. Erste Geschichte: Ein Professor für Maschinenbau rechnet mit den Studierenden zusammen in der Vorlesung ein Projekt an der Tafel durch, bis er schließlich bei dem Term „0,01 * 100“ landet. Er dreht sich um zu seinen Studierenden – und ihn trifft der Schock seines Lebens: Die Mehrheit der Studierenden zückt ihren Taschenrechner. „Moment mal“, sagt der Professor, „Hier stimmt etwas nicht!“. Was stimmt hier nicht? Was ist passiert?

In der Schule sind Taschenrechner im Namen des Fortschritts erlaubt. Im Umgang mit den Taschenrechnern haben die Schüler gelernt, wie fehlerhaft das eigene Gehirn ist. Da jeder Fehler in der Schule nicht mit intelligenter Reflexion, sondern mit einer schlechten Note geahndet wird, hat sich der Rückgriff auf den Taschenrechner zur unfehlbaren Sicherheit als Erfolgsstrategie entwickelt. Man kann auch umgekehrt sagen: Die Schüler sind bezüglich der Zuverlässigkeit ihres eigenen Gehirns total verunsichert. Dem Computer wird mehr vertraut als dem eigenen Denken. Dieses Ergebnis ist eine Katastrophe! Wenn die Gesellschaft hier nicht gegensteuert, werden wir aus dem Zeitalter der dummen Maschinen in das Zeitalter dummer Gehirne wechseln. Das ist auch eine Art Paradigmenwechsel.

Offenbar gibt es einen erheblichen Schulungsbedarf im Miteinander von Mensch und Computer. Solange Fehlerfreiheit und Perfektion Bildungsziele sind, wird das Unterlegenheitsgefühl gegenüber Computern bleiben. Sobald wirkliche Intelligenz der Maßstab wird, hört der Spuk auf. Das ist die Herausforderung für unser Bildungssystem.

Zweite Geschichte: In einer Mathe-Klausur wird ein Beweis, der auch im Unterricht schon vorkam, als eine von acht Aufgaben verlangt. Ein Student, der den Beweis vergessen hatte, macht sich trotzdem an die Aufgabe und kommt tatsächlich auf Beweisideen, die er kreativ neu erfindet. Leider dauert dieser kreative Prozess etwas länger und er kommt nicht mehr zu den anderen Aufgaben. Trotzdem hinterlässt das Gelingen des eigenen Beweises ein wenig Stolz und das Gefühl, etwas wirklich verstanden zu haben.

Der Professor sieht nur das äußere Ergebnis, dass nur eine von 8 Aufgaben gelöst wurde, und gibt dem Studenten die Note 5. Andere Studierende, die den Beweis auswendig gelernt hatten, bekommen bessere Noten. Sind sie deswegen leistungsfähiger? Im Auswendiglernen vielleicht, im kreativen Konstruieren eigener Beweise vielleicht weniger.

An der zweiten Geschichte können wir klar die systemischen Grenzen erkennen. Eigentlich müsste auch die subjektive Seite per Innenschau und nicht nur das objektive Ergebnis bewertet werden. Das System betreibt eine Selektion zu Lasten der Kreativen und zum Vorteil der Auswendiglerner, der Kopierer. Das ist in der Vergangenheit gut gegangen, weil Merk- und Speicherfähigkeit auch wichtige Leistungskriterien waren. In dem Maße, in dem Computer diese Leistungen übernehmen und darin die Menschen überflügeln werden, ist die genannte Selektion eine gesellschaftliche Fehlsteuerung.

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Balkon-Programmierung

Bei der Software-Entwicklung gibt es ein bekanntes, aber nicht dokumentiertes Phänomen, die Balkon-Programmierung. Vermutlich deutet sie auch auf tiefer liegende menschliche Schwächen und Gewohnheiten.

Doch zunächst zu dem Phänomen der Balkon-Programmierung selbst:

Wenn man ein Programm soweit fertig gestellt hat, dass es im Wesentlichen funktioniert, nur leider nicht in ein paar Sonderfällen (oder was man dafür hält), so ist man geneigt, das Software-Gebäude um entsprechende Balkone zu ergänzen, so dass auch noch diese Sonderfälle abgedeckt sind. Das rettet den Programmierer bis zum nächsten Kundentermin – oder bis zum nächsten zufällig entdeckten Sonderfall. So kommt im Laufe der Zeit ein Balkon zum anderen dazu.

Zum Schluss versteht keiner mehr das Programm, das aus mehr Balkonen als aus eigentlicher Problemlöse-Substanz besteht. Dann ziehen die Balkone mehr Aufmerksamkeit auf sich als das eigentliche Sachproblem.

Wenn man die Grundlagen nicht völlig klar stellt und die eigentliche Substanz absolut in Ordnung bringt, verliert man zu viel Zeit an Balkonen und von ihnen verursachte Sekundärproblemen. Wenn man die Grundprinzipien nicht glasklar durchschaut, wird man immer wieder mit Zufällen, Ausnahmen und angeblichen Sonderfällen konfrontiert, deren Abarbeitung so viel Zeit frisst, dass man zum Eigentlichen nicht mehr kommt. Das gilt für Software-Systeme, Sozial- und Finanz-Systeme gleichermaßen.

Hier ist die Informatik näher an der Mathematik mit ihrer 100%-igen Korrektheit als an den Ingenieur-Wissenschaften. In den Ingenieur-Wissenschaften kann man sehr gut mit der 80-20-Regel leben. Man versucht erst gar nicht 100%-ige Perfektion. 80%-ige Korrektheit tut es meistens auch. Für die restlichen 20% müsste man unverhältnismäßigen Mehraufwand betreiben, so dass das Unterfangen unwirtschaftlich würde. Daher muss die statische Berechnung genügend Sicherheitsspielraum enthalten, so dass die Brücke auch bei ungenauen Berechnungen noch standhält.

Von „Software-Ingenieuren“ oder „Software-Engineering“ zu reden ist daher irreführend. Software-Konstruktion ist keine Ingenieurstätigkeit. Oder anders herum formuliert: Wenn Software ingenieursmäßig konstruiert wird, dann ist sie weniger eine Problemlösung als vielmehr Ursache für eine Vielzahl von Sekundärproblemen.

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Fluchtpunkte und Vermeidungsstrategien

Agile Methoden führen uns zurück zu unserer eigentlichen Kraft,
lösungsorientiert zu arbeiten und
Fluchtpunkte und Vermeidungsstrategien zu erkennen.

In Projekten gibt es verschiedene beliebte Fluchtpunkte,
um sich der wahren Auseinandersetzung,
der tatsächlichen Konfrontation mit der Realität zu entziehen:

1. Fluchtpunkt „Ich“:
Ich mag dieses Werkzeug (Framework, Programmiersprache, …) nicht, also lasse ich mich nicht wirklich darauf ein.
Mein Geschmack ist mir heilig, da lasse ich mir nicht hineinreden.
Mir sagt keiner, was ich zu tun habe!
Ich bestimme meine Werkzeuge selbst!

2. Fluchtpunkt „Theorie“:
Ich habe meine Theorie und danach muss sich alles richten.
Mit der Selbstbestätigungsvorliebe (confirmation bias) lasse ich nur die Informationen an mich heran, die meine Theorie bestätigen.
Bevor ich nicht eine vollständige Theorie habe, fange ich erst gar nicht an.

3. Fluchtpunkt „Hacking“:
Coding ist das einzig wahre. Vorher kann ich sowieso nichts wirklich wissen.
Erst die Praxis zeigt mir, wie die Realität wirklich ist.
Grau ist alle Theorie.

Wichtig ist festzuhalten, dass auch die Theoriebildung eine Vermeidungsstrategie sein kann. Besonders Akademiker neigen dazu, in der Theoriebildung die Lösung aller Probleme zu sehen. Das ist im praktischen Alltag eines Projektes nicht immer der Fall. Theorie kann auch naiv, unkritisch, fehl-fokussiert oder einfach nur willkommene Ablenkung sein.

 

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Die Gier-Systemik

Am Anfang waren nur wenige gierig.
Diese wenigen machten riesige Gewinne.
Dann wurden die Nicht-Gierigen für dumm erklärt, oder sogar für Versager, wenn sie nicht auch gierig wurden („Wer nicht gierig ist, ist selber schuld!“, „Geiz ist geil!“ und auch „Du nutzt Deine Chancen nicht!“).
So entstand ein subtiles System der Erpressung, das alle zwang, auch gierig zu werden.
Gierig zu werden war dann keine individuelle Entscheidung mehr,
keine unmoralische Schwäche,
sondern das Ergebnis einer Systemik.

Es wurden sogar Wissenschaften erfunden,
die das gierig werden für jeden gedanklich nachvollziehbar machten.
Dann konnte jeder mit wissenschaftlich dokumentiertem System gierig werden.
Heute erleben wir die Konsequenzen:
Wenn fast alle gierig geworden sind, kippt das System.
Unser Planet ist offenbar zu klein für soviel Gier.

Die Gier-Systemik nützt nicht nur den Gierigen.
Es schadet auch den Nicht-Gierigen.
Die müssen die Zeche mitbezahlen.
Die Nicht-Gier kommt den Nicht-Gierigen teuer zu stehen.
Wenn sie dabei pleite gehen, geben sie sich auch noch selbst die Schuld
und fühlen sich selbst als Versager.
Ausgerechnet diese Leute nehmen sich die Moral-Predigten zu Herzen.
Die Gierigen jedoch lässt das kalt.
Moral ist zu individualistisch und adressiert offenbar die Falschen.
Systemik sieht einen größeren Zusammenhang.

Beispiel.
Das Versagen der Zuwenig-Gierigen gehört zur Gier-Systemik.
Der Untergang des Einzelnen ist der Erfolg des Systems.
Es ist in gewissem Sinne eine Art „Erfolgsfaktor“ der Gier-Systemik, denn
er wirkt als Antreiber, noch gieriger zu werden.

Systemik kann diesen Zusammenhang aufzeigen.
Moral hat hier niemanden, auf den sie mit dem Finger zeigen könnte.

Systemiken werden immer subtiler.
Früher gab es Kriege, heute geht es auch ohne.
Früher gab es Raub und Mord, heute geht es auch mit legalen Mitteln.

Womit die Systemik nicht rechnet, ist, dass sie erkannt wird.
Es ist nicht so, wie die Nachrichten behaupten,
dass immer weniger Menschen das Geschehen verstehen.
Mit dieser Behauptung wird nur der Mythos der Dummheit der Massen
und des Allwissens weniger Experten genährt.
Dabei ist es genau umgekehrt: Immer mehr Menschen erahnen die großen Zusammenhänge.
Und die sind gar nicht so schwer zu verstehen.

Wenn sie einmal erkannt ist, kann die Systemik nicht mehr so wie früher unbewusst wirken.
Wir bleiben dann weiter Teilnehmer, aber nicht mehr als Handlanger oder Opfer.
Als systemisch erkennende Teilnehmer wirken wir anders.

Wenn genügend viele Teilnehmer die Systemik erkannt haben,
kann sie sich ändern.

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